In den sanften Hügeln des Jura-Nord vaudois, wo die Wälder dicht und die Täler tief sind, liegt das kleine Dorf Démoret. Es ist ein Ort, der auf den ersten Blick ruhig und beschaulich wirkt, doch unter der Oberfläche verbirgt sich eine alte Legende, die seit Generationen von den Dorfbewohnern erzählt wird.
Es war eine kalte Herbstnacht, als die Geschichte ihren Anfang nahm. Der Nebel kroch wie ein gespenstisches Tuch über die Felder und legte sich schwer auf die Dächer der kleinen Häuser. Die Menschen von Démoret hatten sich längst in ihre warmen Stuben zurückgezogen, als ein seltsames Geräusch die Stille durchbrach. Es war ein leises Flüstern, das aus dem Nebel zu kommen schien, ein Klang, der die Herzen derer, die ihn hörten, mit einer unbestimmten Furcht erfüllte.
Die Legende besagt, dass in jener Nacht ein junger Mann namens Lucien, der als Schäfer arbeitete, noch draußen war, um nach seinen Schafen zu sehen. Lucien war ein tapferer Bursche, der sich vor wenig fürchtete, und so folgte er dem Flüstern, das ihn immer tiefer in den Wald lockte. Der Nebel war dicht, und bald konnte er kaum noch die Hand vor Augen sehen. Doch das Flüstern wurde lauter, drängender, als wollte es ihm etwas Wichtiges mitteilen.
Plötzlich stand Lucien vor einer Lichtung, die er noch nie zuvor gesehen hatte. In der Mitte der Lichtung erhob sich eine alte, verwitterte Statue, die einen Mann mit einem ernsten Gesichtsausdruck darstellte. Zu seinen Füßen lag ein seltsames, glühendes Licht, das den Nebel in einem unheimlichen Schein erleuchtete. Lucien trat näher heran, fasziniert von dem Anblick, und bemerkte, dass das Flüstern nun direkt aus der Statue zu kommen schien.
Der Legende nach war diese Statue einst ein mächtiger Druide, der vor Jahrhunderten in der Region lebte. Er war bekannt für seine Weisheit und seine Fähigkeit, mit den Geistern der Natur zu kommunizieren. Doch eines Tages hatte er sich mit den falschen Mächten eingelassen und wurde von einem Fluch getroffen, der ihn für alle Ewigkeit in Stein verwandelte. Der Nebelgeist von Démoret, so sagte man, war die Manifestation seiner verlorenen Seele, die versuchte, den Fluch zu brechen.
Lucien, der von der Geschichte des Druiden gehört hatte, verstand nun, dass er vor der Quelle des Flüsterns stand. Er wusste, dass er die Chance hatte, den Geist zu befreien, doch er musste klug handeln. Er erinnerte sich an die alten Geschichten, die besagten, dass der Fluch nur durch einen Akt der wahren Selbstlosigkeit gebrochen werden könne.
Ohne zu zögern, nahm Lucien das glühende Licht in seine Hände. Es fühlte sich warm und lebendig an, als ob es ein eigenes Bewusstsein hätte. Er kniete vor der Statue nieder und sprach mit fester Stimme: “Ich gebe dir mein Licht, auf dass du frei seist.” In diesem Moment erlosch das Licht, und eine Welle der Wärme durchströmte Lucien. Der Nebel begann sich zu lichten, und die Statue schien für einen kurzen Augenblick zu leben, bevor sie in einem sanften Windhauch zu Staub zerfiel.
Als der Morgen dämmerte, fanden die Dorfbewohner Lucien auf der Lichtung, erschöpft, aber wohlauf. Der Nebel war verschwunden, und mit ihm das unheimliche Flüstern. Lucien erzählte den anderen von seiner Begegnung mit dem Nebelgeist und dem Druiden, und die Menschen von Démoret ehrten ihn für seinen Mut und seine Selbstlosigkeit.
Seit jenem Tag ist der Nebelgeist von Démoret nicht mehr gesehen worden, doch die Geschichte wird noch immer erzählt, um die Menschen daran zu erinnern, dass wahre Stärke im Herzen liegt und dass selbst die dunkelsten Flüche durch das Licht der Güte gebrochen werden können. Und so bleibt die Legende des Nebelgeistes von Démoret ein Teil der reichen Erzähltradition dieser Region, ein Mahnmal für den Mut und die Entschlossenheit eines einfachen Schäfers, der es wagte, das Unbekannte zu ergründen und das Böse zu besiegen.