In der kleinen Gemeinde Busswil bei Melchnau, eingebettet im malerischen Oberaargau, gibt es eine alte Mühle, die seit Jahrhunderten still am Ufer des Dorfbachs steht. Die Mühle, einst das Herzstück der Gemeinde, ist heute verlassen und von Efeu überwuchert. Doch die Einheimischen erzählen sich noch immer die Geschichte des Geistermüllers, der in den Nächten, wenn der Mond voll am Himmel steht, in der Mühle sein Unwesen treiben soll.
Vor langer Zeit, als die Mühle noch in Betrieb war, lebte dort ein Müller namens Hansjörg. Hansjörg war ein fleißiger Mann, der Tag und Nacht arbeitete, um das Getreide der Bauern zu mahlen. Doch trotz seiner harten Arbeit war Hansjörg nie zufrieden. Er war geizig und streitsüchtig, und es hieß, dass er die Bauern oft betrog, indem er ihnen weniger Mehl gab, als ihnen zustand.
Eines Tages, als Hansjörg wieder einmal das Mehl wog, erschien ihm eine alte Frau. Sie war in Lumpen gehüllt und hatte ein Gesicht, das vom Leben gezeichnet war. Die Frau bat Hansjörg um etwas Mehl, da sie und ihre Familie am Verhungern waren. Doch Hansjörg lachte nur und jagte sie davon. “Ich arbeite nicht für Bettler,” rief er ihr nach.
Die alte Frau drehte sich um und sah Hansjörg mit einem Blick an, der ihm durch Mark und Bein ging. “Du wirst für deine Hartherzigkeit bezahlen,” sagte sie mit einer Stimme, die wie ein Flüstern im Wind klang. Dann verschwand sie so plötzlich, wie sie gekommen war.
Von diesem Tag an begann sich das Schicksal gegen Hansjörg zu wenden. Zuerst fiel die Ernte schlecht aus, und die Bauern brachten weniger Getreide zur Mühle. Dann begann die Mühle selbst Probleme zu machen. Das Mühlrad klemmte ständig, und die Mühlsteine schienen ihren Dienst zu verweigern. Hansjörg wurde immer verbitterter und verbrachte seine Tage damit, die Mühle zu reparieren und die Bauern anzuschreien.
Eines Nachts, als ein heftiger Sturm über das Dorf zog, hörten die Dorfbewohner plötzlich ein unheimliches Geräusch aus der Mühle. Es klang wie das Klappern der Mühlsteine, doch niemand konnte erklären, warum die Mühle mitten in der Nacht in Betrieb sein sollte. Mutige Männer aus dem Dorf beschlossen, nachzusehen, was los war. Als sie die Mühle betraten, fanden sie Hansjörg tot am Boden liegen, seine Augen weit aufgerissen vor Entsetzen.
Seit diesem schrecklichen Ereignis behaupten die Dorfbewohner, dass Hansjörgs Geist in der Mühle gefangen ist. In Nächten, wenn der Mond voll ist, soll man das Klappern der Mühlsteine hören können, obwohl die Mühle längst stillgelegt ist. Einige behaupten sogar, den Geist des Müllers gesehen zu haben, wie er ruhelos durch die Mühle wandert und immer wieder die Waage überprüft, als würde er versuchen, seine alten Sünden wiedergutzumachen.
Die alten Geschichten haben die Menschen von Busswil bei Melchnau vorsichtig gemacht. Niemand wagt es, nach Einbruch der Dunkelheit die Mühle zu betreten. Kinder werden angehalten, sich von dem alten Gebäude fernzuhalten, und selbst die mutigsten Männer des Dorfes machen einen weiten Bogen um die Mühle, wenn der Vollmond am Himmel steht.
Doch es gibt auch jene, die glauben, dass der Geist des Müllers nur erlöst werden kann, wenn jemand den Mut findet, die Mühle zu betreten und ihm zu vergeben. Bis heute hat sich jedoch niemand gefunden, der diese Aufgabe übernehmen möchte. So bleibt die Mühle ein Ort des Schreckens und der Legenden, und die Geschichte des Geistermüllers wird von Generation zu Generation weitergegeben, als warnendes Beispiel für die Folgen von Geiz und Hartherzigkeit.
Und so endet die Legende des Geistermüllers von Busswil bei Melchnau, einer Geschichte, die noch immer die Herzen der Dorfbewohner in Angst und Schrecken versetzt, und die Mühle, die einst das Leben des Dorfes bestimmte, bleibt ein stummer Zeuge der Vergangenheit, umhüllt von Geheimnissen und unheimlichen Klängen in den Nächten des Vollmonds.