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Die Legende der Tanzenden Lichter von St. Stephan

Es war eine klare, sternenklare Nacht in St. Stephan, einem malerischen Dorf im Obersimmental-Saanen, als die Bewohner etwas Ungewöhnliches am Himmel erblickten. Die Alten des Dorfes erzählten von den “Tanzenden Lichtern”, die alle paar Jahrzehnte am Himmel erschienen und ein Zeichen für besondere Ereignisse oder Veränderungen waren. Doch niemand hatte sie je mit eigenen Augen gesehen.

In jener Nacht versammelten sich die Dorfbewohner auf der großen Wiese vor der Kirche, die einen ungehinderten Blick auf den Himmel bot. Kinder liefen umher, während die Erwachsenen sich in Gruppen unterhielten und gespannt nach oben blickten. Die Luft war erfüllt von einer Mischung aus Aufregung und Ehrfurcht.

Unter den Anwesenden war auch die junge Anna, die mit ihrer Großmutter gekommen war. Annas Großmutter, eine weise Frau mit schneeweißem Haar, hatte die Geschichte der Tanzenden Lichter von ihrer eigenen Mutter gehört. “Sie erscheinen nur, wenn das Dorf in Not ist oder wenn etwas Großes bevorsteht”, flüsterte sie Anna zu.

Die Nacht schritt voran, und die Sterne funkelten wie kleine Diamanten am Himmel. Plötzlich, ohne Vorwarnung, begann der Himmel in einem Spektakel aus Farben zu erstrahlen. Zuerst war es nur ein schwaches Glühen, doch bald darauf tanzten Lichter in allen Farben des Regenbogens über den Himmel. Sie bewegten sich in komplizierten Mustern, als würden sie einer unsichtbaren Melodie folgen.

Die Dorfbewohner hielten den Atem an. Einige der älteren Frauen begannen leise zu beten, während die Kinder vor Staunen die Augen weit aufrissen. Es war ein Anblick, den niemand je vergessen würde.

Anna war fasziniert von den Lichtern und konnte den Blick nicht abwenden. Sie fühlte eine seltsame Verbindung zu ihnen, als ob sie sie riefen. Ohne es zu merken, begann sie, sich von der Menge zu entfernen und den Lichtern entgegenzugehen. Ihre Großmutter bemerkte es und rief ihr nach, doch Anna hörte sie nicht.

Als Anna schließlich am Rand der Wiese stand, schloss sie die Augen und ließ die Farben auf sich wirken. Sie fühlte eine Wärme in ihrem Herzen und eine Stimme, die zu ihr sprach, ohne Worte zu benutzen. Es war, als ob die Lichter ihr eine Botschaft übermittelten, die nur sie verstehen konnte.

In diesem Moment wusste Anna, dass sie eine besondere Aufgabe hatte. Die Lichter zeigten ihr Bilder von drohenden Gefahren für das Dorf und von der Gemeinschaft, die zusammenarbeiten musste, um diese zu überwinden. Sie sah Visionen von einer besseren Zukunft für St. Stephan, in der die Menschen in Harmonie mit der Natur lebten und alte Traditionen bewahrten.

Als die Lichter schließlich verblassten und der Himmel wieder dunkel wurde, kehrte Anna zu ihrer Großmutter und den anderen Dorfbewohnern zurück. Sie erzählte ihnen von ihrer Erfahrung und der Botschaft der Lichter. Anfangs waren die Menschen skeptisch, doch Annas Entschlossenheit und Überzeugungskraft überzeugten sie schließlich.

In den folgenden Wochen und Monaten arbeitete das Dorf zusammen, um die Visionen der Tanzenden Lichter Wirklichkeit werden zu lassen. Sie schützten die umliegenden Wälder, förderten den Zusammenhalt in der Gemeinschaft und bewahrten die alten Bräuche. Die Dorfbewohner spürten, dass sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für zukünftige Generationen handelten.

Anna wurde als Heldin gefeiert, doch sie wusste, dass es die Lichter waren, die das Dorf gerettet hatten. Sie erinnerte sich stets an die Nacht, in der sie die Tanzenden Lichter gesehen hatte, und die Botschaft, die sie ihr übermittelt hatten.

Und so lebten die Menschen in St. Stephan in Frieden mit der Gewissheit, dass sie niemals allein waren und dass die Tanzenden Lichter über sie wachten. Die Legende wurde zu einem Symbol für Hoffnung, Gemeinschaft und die Kraft, die in jedem Einzelnen steckt, um die Zukunft zu gestalten.