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Die Legende der Flüsternden Wellen von Jongny

In den sanften Hügeln und den malerischen Weinbergen von Jongny, einem kleinen Dorf in der Region Riviera-Pays-d’Enhaut im Kanton Waadt, liegt ein kleines, von Mythen umwobenes Gewässer. Der Lac de Jongny, wie er von den Einheimischen genannt wird, ist ein kleiner, aber tiefblauer See, der von einem dichten Kranz aus Bäumen umgeben ist. Die Legende besagt, dass die Wellen des Sees flüstern und denen, die aufmerksam genug zuhören, Geheimnisse aus längst vergangenen Zeiten verraten.

Es war einmal ein junger Mann namens Lucien, der in Jongny lebte. Lucien war ein Träumer, ein junger Winzer, der von Abenteuern und fernen Ländern träumte. Doch seine Familie brauchte ihn auf dem Weinberg, und so verbrachte er seine Tage damit, die Reben zu pflegen und die Trauben zu ernten. Trotz seiner Pflichten zog es ihn immer wieder zum Lac de Jongny, wo er stundenlang am Ufer saß und den Wellen lauschte.

Eines Abends, als die Sonne hinter den Hügeln versank und der Himmel in ein tiefes Rot getaucht war, hörte Lucien ein leises Flüstern, das aus den Wellen zu kommen schien. Zuerst dachte er, es sei der Wind, der durch die Blätter der Bäume strich, doch das Flüstern war klarer und melodischer. Neugierig beugte er sich vor und lauschte angestrengt.

“Die Zeit ist gekommen”, flüsterte die Stimme, “das Geheimnis der Wellen zu ergründen.”

Verwirrt und fasziniert zugleich, beschloss Lucien, dem Flüstern auf den Grund zu gehen. In den folgenden Nächten kehrte er immer wieder zum See zurück, lauschte den Wellen und versuchte, die geheimnisvollen Botschaften zu entschlüsseln. Die Stimme erzählte von einem verborgenen Schatz, der tief im See verborgen lag, einem Schatz, der nur von einem reinen Herzen gefunden werden konnte.

Lucien, dessen Herz voller Träume und Sehnsüchte war, fühlte sich auserwählt. Er begann, seine Nachforschungen zu intensivieren, sprach mit den ältesten Bewohnern des Dorfes und durchstöberte alte Bücher und Aufzeichnungen. Doch niemand konnte ihm etwas über den geheimnisvollen Schatz erzählen. Die Geschichte der flüsternden Wellen war ihnen unbekannt, und viele hielten sie für das Hirngespinst eines jungen Mannes mit zu viel Fantasie.

Entschlossen, das Geheimnis zu lüften, beschloss Lucien, in einer mondlosen Nacht in den See zu tauchen. Ausgerüstet mit einer Laterne und einem Seil, wagte er sich in das kalte, dunkle Wasser. Die Wellen schlugen sanft gegen sein Gesicht, als er tiefer und tiefer tauchte. Plötzlich, als er fast die Hoffnung aufgeben wollte, bemerkte er ein schwaches Leuchten am Grund des Sees.

Das Leuchten führte ihn zu einer kleinen Höhle, verborgen unter einer dichten Schicht von Algen und Steinen. In der Höhle fand er eine alte Truhe, die mit Muscheln und Korallen verziert war. Mit zitternden Händen öffnete er die Truhe und fand darin ein altes Pergament, das in einer Sprache geschrieben war, die er nicht kannte. Doch das Pergament schien zu leben, das Licht der Laterne reflektierte sich in den goldenen Buchstaben, die sich vor seinen Augen zu bewegen schienen.

Als er die Truhe an die Oberfläche brachte, bemerkte er, dass das Flüstern der Wellen lauter und klarer geworden war. Die Stimme sprach direkt zu ihm, bedankte sich für seinen Mut und seine Reinheit des Herzens. Sie erklärte, dass der Schatz nicht aus Gold oder Juwelen bestand, sondern aus Wissen und Weisheit, die von Generation zu Generation weitergegeben werden sollten.

Bis heute flüstern die Wellen des Lac de Jongny ihre Geheimnisse, und wer aufmerksam genug lauscht, kann die Geschichten von Mut, Liebe und Weisheit hören, die sie zu erzählen haben. Und so lebt die Legende weiter, in den Herzen der Menschen, die den See besuchen und den flüsternden Wellen lauschen.