Sagen aus der Schweiz Sagen Welt

Die Legende der Flüsternden Wasser von Marly

In den sanften Hügeln und dichten Wäldern rund um Marly, einem beschaulichen Dorf im Kanton Freiburg, erzählt man sich seit Generationen die geheimnisvolle Geschichte der Flüsternden Wasser. Diese Legende, die in lauen Sommernächten und langen Winterabenden am Kamin weitergegeben wird, handelt von einer Zeit, in der die Natur noch voller Geheimnisse und Magie war.

In einer längst vergessenen Epoche, als die Menschen noch im Einklang mit den Geistern der Natur lebten, gab es in der Nähe von Marly einen kleinen, kristallklaren Bach, der durch die Wälder plätscherte. Die Bewohner des Dorfes nannten ihn “La Sarine”, und er war bekannt für sein reines, erfrischendes Wasser. Doch das war nicht das Einzige, was diesen Bach so besonders machte.

Es hieß, dass in den stillen Stunden der Dämmerung, wenn die Sonne den Horizont küsste und die Welt in ein goldenes Licht tauchte, geheimnisvolle Stimmen aus dem Wasser zu hören waren. Diese Stimmen waren leise und sanft, wie ein Flüstern im Wind, und schienen Geschichten aus einer anderen Welt zu erzählen. Die Dorfbewohner glaubten, dass es die Stimmen der Wassergeister waren, die im Bach lebten und über das Land wachten.

Eines Tages, so erzählt die Legende, lebte in Marly ein junger Mann namens Léon, der von unbändiger Neugierde erfüllt war. Léon hatte von den Flüsternden Wasser gehört und war fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Er verbrachte viele Abende am Ufer des Baches, lauschte den Stimmen und versuchte, ihre Worte zu verstehen. Doch so sehr er sich auch bemühte, die Flüstern blieben ihm ein Rätsel.

Eines Nachts, als der Vollmond den Wald in silbernes Licht tauchte, beschloss Léon, dem Bach zu folgen, in der Hoffnung, die Quelle der Stimmen zu finden. Er wanderte entlang des Ufers, tiefer und tiefer in den Wald hinein, bis er schließlich auf eine versteckte Lichtung stieß. In der Mitte der Lichtung stand ein alter, knorriger Baum, dessen Wurzeln tief in die Erde reichten und dessen Äste sich wie schützende Arme über den Bach erstreckten.

Léon spürte, dass er am Ziel seiner Suche angekommen war. Er setzte sich an den Fuß des Baumes, schloss die Augen und lauschte. Die Stimmen wurden lauter, klarer, und plötzlich verstand er ihre Botschaft. Die Wassergeister erzählten von einer Zeit, in der Menschen und Natur in Harmonie lebten, von einem Bund, der einst geschlossen wurde, um das Land zu schützen und zu bewahren.

Die Geister warnten jedoch auch vor einer drohenden Gefahr: Der Bund war im Begriff zu brechen, weil die Menschen die Verbindung zur Natur verloren hatten. Die Flüsternden Wasser baten Léon, die Botschaft an die Dorfbewohner weiterzugeben und sie daran zu erinnern, die Natur zu ehren und zu schützen.

Ergriffen von der Dringlichkeit der Botschaft, kehrte Léon nach Marly zurück und erzählte den Menschen von seinem Erlebnis. Zunächst waren die Dorfbewohner skeptisch, doch Léons Leidenschaft und Überzeugungskraft ließen sie aufhorchen. Sie erinnerten sich an die Geschichten ihrer Vorfahren und beschlossen, die Warnung der Wassergeister ernst zu nehmen.

In den folgenden Jahren veränderte sich das Leben in Marly. Die Menschen achteten mehr auf die Natur, pflegten ihre Felder mit Bedacht und hielten die Wälder sauber. Sie ehrten die Wassergeister mit kleinen Opfergaben und Dankesfesten, um den Bund zu erneuern und die Harmonie zu bewahren.

Und so bleibt die Legende lebendig, ein unsichtbares Band zwischen Vergangenheit und Gegenwart, das die Menschen in Marly daran erinnert, dass die wahre Magie in der Achtung und Liebe zur Natur liegt.