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Der Wächter von Mirchel

Es war eine dunkle und stürmische Nacht in Mirchel, als die alte Frau Hannelore auf ihrem Sterbebett lag. Die Dorfbewohner hatten sich um ihr kleines, windschiefes Häuschen versammelt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Hannelore war nicht nur eine weise Frau, sondern auch eine Hüterin von uraltem Wissen, das tief in den Wurzeln des Berneroberlands verwurzelt war. Sie hatte kein Nachkommen, und so fürchteten die Dorfbewohner, dass mit ihrem Tod auch das Wissen um die alten Geheimnisse und Sagen verloren gehen würde.

Kurz bevor Hannelore ihren letzten Atemzug tat, rief sie den jungen Jakob zu sich. Jakob war ein neugieriger und mutiger Junge, der oft ihre Geschichten lauschte und sie mit Fragen löcherte. Mit schwacher Stimme flüsterte Hannelore ihm zu: “Jakob, du musst der neue Wächter von Mirchel werden. Das Dorf braucht jemanden, der die alten Geheimnisse bewahrt und die bösen Geister fernhält. Versprich mir, dass du diese Aufgabe übernehmen wirst.”

Jakob versprach es, und Hannelore drückte ihm einen alten, verzierten Schlüssel in die Hand. “Dieser Schlüssel öffnet die Tür zu einem Geheimnis, das tief in den Wäldern von Mirchel verborgen liegt. Gehe dorthin, wenn die Zeit reif ist,” sagte sie und schloss ihre Augen für immer.

Die Tage vergingen, und Jakob trug den Schlüssel stets bei sich. Eines Nachts, als der Mond voll am Himmel stand und die Wölfe in der Ferne heulten, fühlte Jakob, dass die Zeit gekommen war. Er schlich sich aus dem Haus und machte sich auf den Weg in den dunklen Wald. Der Wind pfiff durch die Bäume, und die Schatten tanzten unheimlich um ihn herum. Doch Jakob ließ sich nicht beirren und folgte seinem Instinkt.

Nach einer Weile erreichte er eine Lichtung, auf der ein alter, überwucherter Steinkreis stand. In der Mitte des Steinkreises befand sich eine schwere, eisenbeschlagene Tür, die halb im Boden versunken war. Mit zitternden Händen zog Jakob den Schlüssel hervor und steckte ihn ins Schloss. Mit einem lauten Knarren öffnete sich die Tür, und eine steinerne Treppe führte hinab in die Dunkelheit.

Jakob nahm all seinen Mut zusammen und stieg die Treppe hinab. Unten angekommen, fand er sich in einer großen, unterirdischen Kammer wieder. Die Wände waren mit uralten Runen und Symbolen bedeckt, und in der Mitte der Kammer stand ein steinerner Altar. Auf dem Altar lag ein altes Buch, das in Leder gebunden und mit goldenen Verzierungen versehen war.

Jakob nahm das Buch in die Hand und schlug es auf. Die Seiten waren mit geheimnisvollen Schriftzeichen und Zeichnungen gefüllt, die von längst vergangenen Zeiten erzählten. Plötzlich hörte er ein leises Flüstern, das aus den Schatten der Kammer zu kommen schien. “Du bist der neue Wächter von Mirchel,” flüsterte eine Stimme. “Bewahre dieses Wissen und schütze das Dorf vor den dunklen Mächten, die es bedrohen.”

Jakob fühlte eine tiefe Verantwortung in sich aufsteigen. Er wusste, dass er die Aufgabe, die Hannelore ihm anvertraut hatte, ernst nehmen musste. Er schloss das Buch und machte sich auf den Rückweg. Als er die Kammer verließ, verschloss sich die Tür hinter ihm, und der Schlüssel zerbröselte in seiner Hand.

Eines Tages, viele Jahre später, als Jakob selbst ein alter Mann war, tauchte eine dunkle Bedrohung in Mirchel auf. Ein böser Geist, der seit Jahrhunderten in einem verborgenen Grab gefangen war, war entfesselt worden. Die Dorfbewohner waren in Panik, doch Jakob wusste, was zu tun war. Mit dem alten Buch in der Hand und den Worten der Zauber auf seinen Lippen stellte er sich dem Geist entgegen.

Und so lebte Jakob bis an sein Lebensende als Hüter der alten Sagen und Legenden, und sein Name wurde in die Geschichte von Mirchel eingehen, als der mutige Junge, der zum Wächter des Dorfes wurde.