In den sanften Hügeln des Tessins, wo die Winde Geschichten von längst vergangenen Zeiten flüstern und die Wälder Geheimnisse bewahren, liegt das kleine Dorf Agno. Hier, am Ufer des Luganer Sees, rankt sich eine uralte Sage, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Es ist die Geschichte von einem verborgenen Schatz und einem jungen Mann namens Luca.
Luca war ein einfacher Bauernsohn, der mit seiner Familie in einem kleinen Haus am Rande des Dorfes lebte. Die Familie war arm, doch Luca träumte von einem besseren Leben. Eines Abends, als er von der Feldarbeit erschöpft nach Hause kam, setzte er sich an den Rand des Sees und starrte in das silberne Wasser, das im Mondlicht glitzerte. Plötzlich bemerkte er eine alte Frau, die in einem Boot auf ihn zusteuerte. Ihr Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, und ihre Augen schienen das Wissen vieler Jahrhunderte zu bergen.
„Guten Abend, junger Mann“, sagte sie mit einer Stimme, die so alt klang wie die Berge selbst. „Warum bist du so traurig?“
Luca erzählte der alten Frau von seinen Sorgen und seinen Träumen. Die Frau hörte geduldig zu und nickte schließlich. „Ich kenne deine Not“, sagte sie. „Aber wisse, dass es in diesen Hügeln einen Schatz gibt, der dein Leben verändern könnte. Er ist tief verborgen und nur derjenige, der reinem Herzens ist, kann ihn finden.“
Luca war erstaunt und fragte, wie er den Schatz finden könne. Die alte Frau lächelte geheimnisvoll und gab ihm eine Karte. „Folge dieser Karte und deinen Instinkten“, sagte sie. „Aber sei gewarnt: Der Weg ist gefährlich, und nicht jeder, der ihn beschreitet, kehrt zurück.“
Am nächsten Morgen machte sich Luca auf den Weg. Die Karte führte ihn durch dichte Wälder, über steile Hügel und entlang schmaler Pfade, die kaum sichtbar waren. Nach vielen Stunden des Wanderns erreichte er eine versteckte Höhle. Am Eingang der Höhle stand eine Inschrift in einer alten Sprache, die Luca nicht lesen konnte. Doch er erinnerte sich an die Worte der alten Frau und trat mutig ein.
Im Inneren der Höhle war es dunkel und kühl. Luca tastete sich vorsichtig voran, bis er auf eine große Steintür stieß. Auf der Tür war ein Rätsel eingraviert: „Nur wer sein Herz öffnet und die Wahrheit spricht, wird den Weg zum Schatz finden.“ Luca dachte lange nach und sprach schließlich die Wahrheit aus, die tief in seinem Herzen lag: „Ich suche diesen Schatz nicht für mich allein, sondern um meiner Familie und meinem Dorf zu helfen.“
Mit einem lauten Knarren öffnete sich die Steintür, und Luca trat in einen Raum, der von einem geheimnisvollen Licht erhellt wurde. In der Mitte des Raumes stand eine alte Truhe, die mit Edelsteinen und Gold gefüllt war. Luca konnte seinen Augen kaum trauen. Doch noch bevor er die Truhe berühren konnte, erschien die alte Frau wieder. „Du hast den Schatz gefunden, Luca“, sagte sie. „Aber vergiss nicht, was du versprochen hast.“
Luca nickte und bedankte sich bei der alten Frau. Er nahm nur so viel Gold, wie er tragen konnte, und machte sich auf den Rückweg. Als er in Agno ankam, erzählte er seiner Familie und seinen Nachbarn von seinem Abenteuer. Mit dem Gold konnte er nicht nur seine Familie aus der Armut befreien, sondern auch das ganze Dorf unterstützen.
Die Jahre vergingen, und Luca wurde ein angesehener Mann in Agno. Doch die alte Frau sah er nie wieder. Die Menschen im Dorf erzählten sich noch lange die Geschichte von Luca und dem verborgenen Schatz. Sie glaubten, dass die alte Frau ein Geist war, der über den Schatz wachte und nur denjenigen belohnte, der reinen Herzens war.
Und so blieb die Sage vom verborgenen Schatz von Agno lebendig, eine Erinnerung daran, dass Mut, Ehrlichkeit und ein reines Herz die größten Schätze im Leben sind.