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Der Fluch des Seedorfer Moors

In einer längst vergangenen Zeit, als die Wälder dichter und die Nächte dunkler waren, lebte in Seedorf ein junger Bauer namens Jakob. Jakob war bekannt für seine unerschütterliche Arbeitsmoral und seinen unermüdlichen Einsatz auf den Feldern. Doch trotz all seiner Mühen schien ihm das Glück nicht hold zu sein. Seine Ernten fielen mager aus, und seine Tiere wurden oft krank.

Eines Abends, als die Sonne blutrot am Horizont versank und der Himmel sich in ein tiefes Violett tauchte, saß Jakob auf der Schwelle seines kleinen Bauernhauses und starrte gedankenverloren in die Ferne. Da bemerkte er eine alte Frau, die sich schwerfällig den staubigen Weg entlangschleppte. Ihr Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, und ihre Augen schienen das Wissen vieler Generationen zu bergen. Jakob, der für seine Gastfreundschaft bekannt war, lud die Alte ein, sich zu ihm zu setzen und ein wenig auszuruhen.

Die Frau, die sich als Greta vorstellte, nahm das Angebot dankbar an. Während sie an einem Krug frischem Wasser nippte, erzählte sie Jakob von einer alten Legende, die sich um das nahegelegene Seedorfer Moor rankte. Es hieß, dass das Moor einst von einem mächtigen Druiden bewohnt wurde, der die Naturkräfte beherrschte. Doch als die Menschen begannen, das Moor zu entwässern und die Bäume zu fällen, um mehr Land für ihre Felder zu gewinnen, legte der Druide einen Fluch auf das Moor und alle, die es betraten.

Jakob, der verzweifelt nach einer Lösung für seine Misere suchte, fragte Greta, ob es einen Weg gäbe, den Fluch zu brechen. Die alte Frau nickte langsam und erzählte ihm, dass nur ein reines Herz und ein mutiger Geist den Fluch aufheben könnten. Er müsse in der tiefsten Nacht, bei Neumond, ins Moor gehen und dort ein Opfer darbringen – eine Gabe, die den Druiden besänftigen könnte.

In der folgenden Nacht, als der Himmel sternenlos und die Dunkelheit undurchdringlich war, machte sich Jakob auf den Weg ins Moor. Er trug eine kleine Holzschatulle bei sich, die das kostbarste enthielt, was er besaß: ein silbernes Amulett, das ihm von seiner Mutter vermacht worden war. Es war das einzige Erbstück, das ihm geblieben war, und er hoffte, dass es den Druiden besänftigen würde.

Als Jakob das Moor betrat, spürte er sofort die unheimliche Stille, die es umgab. Kein Laut war zu hören, nicht einmal das Summen von Insekten. Er ging weiter, bis er eine kleine Lichtung erreichte, die von einem seltsamen, phosphoreszierenden Glühen erleuchtet wurde. In der Mitte der Lichtung stand ein alter, knorriger Baum, dessen Äste wie die Arme eines Skeletts in den Himmel ragten.

Jakob kniete sich nieder und legte das Amulett behutsam vor den Baum. Er schloss die Augen und flüsterte ein Gebet, in dem er um Vergebung und Erlösung bat. Plötzlich spürte er eine kühle Brise, die sanft über sein Gesicht strich, und als er die Augen öffnete, sah er den Geist des Druiden vor sich stehen. Der Druide war in ein langes, weißes Gewand gehüllt, und seine Augen funkelten wie Sterne.

Ohne ein Wort zu sprechen, nahm der Druide das Amulett und hielt es in die Höhe. Ein helles Licht erstrahlte, das das gesamte Moor in ein gleißendes Leuchten tauchte. Jakob musste die Augen schließen, so intensiv war das Licht. Als er sie wieder öffnete, war der Druide verschwunden, und das Moor schien sich verändert zu haben. Die unheimliche Stille war einer friedlichen Ruhe gewichen, und das Glühen der Lichtung war erloschen.

Jakob kehrte in der Morgendämmerung zu seinem Bauernhaus zurück. In den folgenden Tagen bemerkte er, dass seine Felder grüner und seine Tiere gesünder wurden. Die Ernten waren reichlich, und das Glück schien endlich auf seiner Seite zu sein.

Die Geschichte von Jakob und dem Seedorfer Moor wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Sie diente als Mahnung, die Natur zu respektieren und die alten Legenden nicht zu vergessen. Und so blieb das Moor ein Ort des Mysteriums und der Ehrfurcht, ein lebendiges Zeugnis der Macht der alten Druiden und der Weisheit der Alten.