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Der Fluch des Könizer Waldes

In den tiefen Wäldern von Köniz, unweit der Stadt Bern, lebte einst eine alte Frau namens Matilda. Sie war eine weise Kräuterfrau, die den Menschen mit ihren Heilkräutern half und oft als Hexe verschrien wurde. Die Dorfbewohner suchten sie dennoch auf, wenn sie krank waren oder Rat brauchten, doch sie mieden sie sonst und tuschelten hinter ihrem Rücken.

Eines kalten Herbstabends, als der Wind durch die kahlen Äste der Bäume heulte und die Dunkelheit die Landschaft verschlang, klopfte es an Matildas Tür. Ein junger Mann, blass und zitternd, stand vor ihr. Er stellte sich als Lukas vor und erzählte ihr, dass seine Mutter schwer krank sei. Matilda nickte und bereitete sofort einige Kräutertränke vor, die er seiner Mutter geben sollte.

„Aber sei gewarnt,“ sagte sie mit ernster Miene, „die Krankheit deiner Mutter ist nicht natürlichen Ursprungs. Etwas Böses lauert in den Wäldern von Köniz. Du musst vorsichtig sein.“

Lukas bedankte sich und eilte zurück ins Dorf. Die Tage vergingen, und obwohl die Tränke seiner Mutter halfen, verschlimmerte sich ihr Zustand immer wieder. Verzweifelt suchte Lukas erneut Matilda auf, die ihm diesmal einen alten, verstaubten Folianten zeigte. Darin waren Geschichten und Warnungen über den Könizer Wald niedergeschrieben.

„In diesen Wäldern,“ begann Matilda, „lebt ein uralter Geist, der vor Jahrhunderten von einem mächtigen Magier verflucht wurde. Dieser Geist, einst ein gütiger Hüter des Waldes, wurde durch den Fluch in ein bösartiges Wesen verwandelt. Er nährt sich von der Lebenskraft der Menschen, die sich zu tief in den Wald wagen.“

Lukas, entschlossen, seine Mutter zu retten, bat Matilda um Hilfe, den Geist zu besiegen. Sie gab ihm eine silberne Klinge, die mit speziellen Runen versehen war, und eine kleine Phiole mit einem leuchtend blauen Elixier.

„Diese Klinge kann den Geist verletzen,“ erklärte Matilda, „und das Elixier wird dich vor seinen dunklen Kräften schützen. Aber du musst das Herz des Waldes finden, wo der Geist am stärksten ist.“

Mit Mut und Entschlossenheit machte sich Lukas auf den Weg. Der Wald war dicht und unheimlich still, als ob die Natur selbst den Atem anhielt. Die Schatten der Bäume schienen sich zu bewegen, und seltsame Geräusche hallten durch die Dunkelheit. Lukas hielt die Klinge fest in der Hand und trank einen Schluck des Elixiers, das ihm sofort neue Kraft verlieh.

Stunden vergingen, und Lukas drang immer tiefer in den Wald vor. Schließlich erreichte er eine Lichtung, in deren Mitte ein alter, verkrüppelter Baum stand. Die Luft war erfüllt von einer unheimlichen Präsenz, und Lukas wusste, dass er das Herz des Waldes gefunden hatte. Plötzlich materialisierte sich der Geist vor ihm, eine schattenhafte Gestalt mit glühenden Augen.

„Wer wagt es, mein Reich zu betreten?“ donnerte der Geist.

Lukas zögerte nicht. Er sprang vor und stach mit der silbernen Klinge zu. Der Geist heulte vor Schmerz, und die Runen auf der Klinge leuchteten hell auf. Doch der Kampf war noch nicht vorbei. Der Geist griff mit seinen geisterhaften Klauen nach Lukas, der nur knapp ausweichen konnte. Immer wieder stieß er mit der Klinge zu, bis der Geist schließlich schwächer wurde und sich auflöste.

Mit dem letzten Atemzug des Geistes hörte Lukas ein Flüstern: „Der Fluch ist gebrochen. Der Wald ist frei.“

Erschöpft, aber siegreich, kehrte Lukas ins Dorf zurück. Seine Mutter erholte sich schnell, und die Dorfbewohner erfuhren von seinem mutigen Kampf. Matilda wurde fortan als weise Frau und Beschützerin des Dorfes verehrt, und der Wald von Köniz war wieder ein Ort des Friedens und der Heilung.

Doch die Geschichte von Lukas und dem Geist des Könizer Waldes wurde von Generation zu Generation weitergegeben, als Warnung und als Erinnerung an den Mut, den es braucht, um das Böse zu besiegen.