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Der Fluch des Alten Hauses von Sulgen

In der kleinen Gemeinde Sulgen, eingebettet in die sanften Hügel des Thurgaus, stand ein altes, verwittertes Haus. Es war bekannt als das “Haus der Schatten” und hatte eine düstere Geschichte, die weit über die Grenzen des Dorfes hinaus bekannt war. Niemand wagte es, sich dem Haus nach Einbruch der Dunkelheit zu nähern, und selbst tagsüber huschten die Dorfbewohner hastig vorbei, wenn sie es nicht vermeiden konnten.

Die Legende begann vor vielen Jahrhunderten, als das Haus noch neu und prächtig war. Es gehörte einem wohlhabenden Kaufmann namens Jakob Müller, der mit seiner Frau Anna und ihren zwei Kindern dort lebte. Jakob war ein angesehener Mann, doch er hatte ein dunkles Geheimnis. Er war besessen von der Alchemie und verbrachte unzählige Nächte in seinem Kellerlabor, auf der Suche nach dem Stein der Weisen und dem Geheimnis des ewigen Lebens.

Eines stürmischen Abends, als der Wind durch die Bäume heulte und der Regen gegen die Fenster peitschte, machte Jakob einen verhängnisvollen Fehler. In seiner Gier und Verzweiflung beschwor er eine dunkle Macht, die ihm das Wissen und die Macht versprach, die er suchte. Doch die Macht verlangte einen hohen Preis. Jakob musste seine Seele und die seiner Familie opfern.

Als die Nacht voranschritt, erfüllte ein unheimliches Licht das Haus, und schreckliche Schreie hallten durch die Gänge. Am nächsten Morgen fand man das Haus verlassen vor. Jakob, Anna und die Kinder waren spurlos verschwunden. Doch das war nicht das Ende der Geschichte.

In den folgenden Jahren berichteten die Dorfbewohner von seltsamen Erscheinungen und unerklärlichen Phänomenen. Schatten huschten durch die Fenster, und geisterhafte Stimmen flüsterten in der Dunkelheit. Manche behaupteten, sie hätten Jakob gesehen, wie er mit leeren Augen durch die Gänge des Hauses schlich, immer noch auf der Suche nach dem, was er verloren hatte.

Es hieß, dass das Haus verflucht war und dass jeder, der es betrat, dem gleichen Schicksal entgegenblickte. Doch die Neugierde und der menschliche Drang, das Unbekannte zu erforschen, ließen immer wieder Menschen in das Haus gehen. Keiner von ihnen kehrte je zurück.

Eines Tages beschloss ein junger Mann namens Lukas, dem Geheimnis des Hauses auf den Grund zu gehen. Lukas war ein Skeptiker und glaubte nicht an Geister oder Flüche. Er war überzeugt, dass die Geschichten nur Aberglauben und Einbildung waren. Mit einer Taschenlampe und festem Willen bewaffnet, betrat er das Haus bei Einbruch der Dunkelheit.

Das Innere des Hauses war kalt und düster. Die Luft war schwer und roch nach Moder. Lukas durchsuchte die Räume, fand aber nichts Ungewöhnliches. Doch als er in den Keller hinabstieg, änderte sich alles. Ein eisiger Windstoß ließ die Flamme seiner Taschenlampe flackern, und ein unheimliches Gefühl der Beklommenheit überkam ihn.

Im Keller fand er das alte Labor von Jakob Müller. Die Regale waren noch immer mit alchemistischen Instrumenten und verstaubten Büchern gefüllt. In einer Ecke entdeckte Lukas ein großes, in Leder gebundenes Buch. Als er es aufschlug, erkannte er, dass es Jakobs Tagebuch war. Die letzten Einträge waren wirr und voller Verzweiflung. Jakob hatte beschrieben, wie er die dunkle Macht beschwor und den furchtbaren Preis, den er dafür zahlen musste.

Plötzlich hörte Lukas ein leises Flüstern. Er drehte sich um und sah, wie sich die Schatten im Raum zu bewegen schienen. Panik überkam ihn, und er rannte die Treppe hinauf, doch die Tür war verschlossen. Die Schatten kamen näher, und Lukas spürte eine kalte Hand auf seiner Schulter. In diesem Moment verstand er, dass der Fluch real war und dass er das Haus nie wieder verlassen würde.

Am nächsten Morgen fand man das Haus erneut verlassen vor. Von Lukas fehlte jede Spur, und die Dorfbewohner wussten, dass der Fluch des alten Hauses von Sulgen ein weiteres Opfer gefordert hatte. Seitdem wagte es niemand mehr, das Haus zu betreten, und es verfiel langsam zu einer Ruine, ein stummer Zeuge der dunklen Vergangenheit und der unstillbaren Gier nach Macht und Wissen.